Melody Gardot: Junge Wilde des Vocaljazz

Der Abend hätte brav werden können. Der Münchener Herkulessaal, ein kühler, aristokratischer Ort, bedrängt den Zuschauer, sich diesem Raum zu entziehen und bald, wenn der Vorhang sich öffnet und die Szene sich eingeprägt hat, die Augen zu schließen und in sich hineinhören, was die Musik dort bewegt: Wer die beiden Alben "Worrisome Heart" und "My One And Only Thrill" der mit 24 Jahren sehr jungen Jazzsängerin von der US-Ostküste kennt, ihre meist ruhigen, stets melancholischen Songs, der hätte wohl auch erwartet, die Augen zu schließen, während eine Live-Version der Studioaufnahmen reproduziert wird. Die Hauptakteurin dabei vorne am Mikrofon im schwarzen Abendkleid, hinter ihr ein mittelgroßes Orchester, so hätte der Abend aussehen können.


Doch es war sowohl für Gardot als auch ihre Zuhörerinnen und Zuhörer die erste Begegnung live. Und es kam alles ganz anders. Melody Gardot ist kein braves Mädchen. Doppelbödigkeit zeigt sie nicht nur in manchen ihrer Songs, wo Worte der Zufriedenheit in musikalischen Strudeln im Trübsinn schlingern.




Statt glamouröser Pose auf der Hauptbühne begann der Abend mit einer rätselhaften Pantomime vor dem roten Vorhang. Gardot schaufelte vielleicht Boden oder Asche, für Realisten Luft in eine unsichtbare Vase oder Urne und sang dann acappella eine Art Spiritual, als wolle sie die Götter zur Messe herbeirufen. Der Vorhang fiel anschließend wörtlich von seiner Aufhängung und entblößte die ungeschmückte Bühne, darauf Gardots dreiköpfige Begleitband. Die Bandleaderin wechselte von der vordersten Front auf eine gemeinsame Ebene mit der Band, und anstelle der erwarteten Nachwuchs-Diva war sie einfach Sängerin, Pianistin, Gitarristin und Entertainerin.

Mit Umfragen ans Publikum und kecken Einsichten aus ihrer kurzen Vita führte sie die Thematik und Grundstimmung des nächsten Songs ein. Erkenntnis: Trotz ihrer Jugend mangelt es der 1985 Geborenen an Lebenserfahrung nicht.



Die Musiker, die jung wie Studenten wirkten - der tänzelnde farbige Saxophonist mit den Dreadlocks, der Schlagzeuger mit dem blonden Perdeschwanz und der schlaksige Kontrabassist mit Bart -, machten sich umgehend daran, sämtliche Erwartungen zu zerstören. In rotes Licht getaucht, wurde viel frei improvisiert.  Für alle galt:Jede Bewegung, jeder Ton saß und wirkte dennoch spontan. Gardot hatte den Flügel präpariert und setzte ihn als Schlagwerk ein, begann neue Stücke aber auch gerne mit ausgedehnten Klavierintros. Während die Songs der zweiten Platte, "My One And Only Thrill", bereits sehr großen Wiedererkennungswert besitzen, arbeitete Gardot live auch aus den alten Songs Tiefe und Schönheit noch plastischer heraus.

Ihre Stimme war fast schon unheimlich sauber, ihre Melodielinien ungeheuer beweglich, die Höhen klar, die Tiefen samtig; keine stimmlichen Eigenarten, die einem auf Dauer auf die Nerven fallen. Charakteristisch für Melody Gardot - und bei jungen Sängerinnen und Sängern längst nicht mehr selbstverständlich - ihre Art des Scattens in einer Fantasiesprache mit gerolltem "R", wie im Song "If The Stars Were Mine":




Ihr Albumdebüt "Worrisome Heart" von 2008, bereits vielgelobt, war noch ohne Welttour ausgekommen. Gardot hat alle zehn Songs darauf selbst geschrieben und trat bei dieser Produktion nicht nur nicht nur als Sängerin zutage, sondern auch als Pianistin und Gitarristin. Gardots erste Songs entstanden im Krankenhaus: Ein Auto hatte ihr die Vorfahrt genommen und sie vom Rad geholt. Ihre Situation war damals lebensbedrohlich. Sie erlitt Verletzungen an Kopf und Wirbelsäule, das Becken war mehrfach gebrochen und der Klinikaufenthalt entsprechend lang.




Noch vor ein, zwei Jahren hieß es, Gardot würde kaum ohne Stock auf die Bühne kommen und aufgrund der Schmerzen seien ihre Konzerte stark eingeschränkt. Heute erinnern jedoch nur wenige Situationen an ihre körperlichen Einschränkungen, als sie sich anfangs auf die Bühne geleiten lässt zum Beispiel, ihr schwarzer Gehstock wirkt eher wie ein Modeaccessoire. Da hatte das Publikum Melody Gardot bereits zwei Mal wegen der Verspätung beklatscht. Nach Ende des Programms applaudierte das Publikum sie mit standing ovations noch zwei weitere Male noch zurück ans Mikrofon.




Der Abend, die Band und die Frau waren ganz anders als erwartet, aber gradios.




Mehr zu Melody Gardot auf ihrer Website, bei twitter, MySpace, last.fm und Wikipedia.

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I will keep performing on my own, too, because so much of what I feel is important about the music is how much I can do by myself, or how much any human being can do on their own. And I think, especially, women need to hear that more and more, and need to see a woman doing more on her own.
As much as people may think that's unnecessary anymore, it's my experience that it's really good for women of all ages to see other women being really weird and bizarre and loud.

Merrill Garbus alias tUnE-yArDs (2010)